Prof. Dr. jur. Jens Kersten
Universitätsprofessor
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften
Postanschrift:
Prof.-Huber-Platz 2
80539 München
Universitätsprofessor
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften
Postanschrift:
Prof.-Huber-Platz 2
80539 München
Willy Spannowsky/Michael Uechtritz (Hrsg.), BauGB. Kommentar, München 2009; Kommentierungen der folgenden Regelungen:
Einsamkeit und Ressentiment sind starke Gefühle, die zu persönlichem Leid führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, Menschen zu helfen, die unter Einsamkeit und Ressentiments leiden. Wenn Einsamkeit und Ressentiments zusammentreffen, können sie aber zugleich auch eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Deshalb muss man sich zum einen den demokratiegefährdenden Zusammenhang von Einsamkeit und Ressentiment bewusst machen und zum anderen Strategien entwickeln, um der emotionalen Radikalisierung von Bürgerinnen und Bürgern klare Grenzen zu setzen und die demokratischen Institutionen zu schützen.
We are living in the Anthropocene—an era in which humanity has become a force of nature. But when we look more closely, it is not humanity as a whole, but primarily the Global North that is responsible for the negative developments of the Anthropocene, such as species extinctions, the climate crisis, and the pollution of the planet. To be able to mitigate these ecological problems, we must radically change our daily living habits as well as our economic system. The states of the Global North must therefore transform their legal systems in accordance with ecological constitutionalism, for law is the tool by which we can shape our society and economy, and, ultimately, make them ecological.
Das öffentliche Baurecht gestaltet unser individuelles Leben und gewährleistet den sozialen Zusammenhalt unserer Gemeinden und Städte. Es garantiert Eigentum und Sicherheit, Umweltqualität und Daseinsvorsorge. Es ist Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung. Es bildet die Grundlage für Arbeit und Wirtschaft, Baudenkmäler und Baukultur. Es reflektiert in der dynamischen Entwicklung von Immobilien und des sozialen Raums unserer Gemeinden und Städte zugleich unser gesellschaftliches Zeitverständnis: Das aktuelle Baurecht kann nur mit Blick auf die historische Entwicklung des gemeindlichen oder urbanen Raums dessen Zukunft gestalten. Aufgrund dieser vielfältigen individuellen und sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen handelt es sich beim öffentlichen Baurecht um eine äußerst komplexe Regelungsmaterie auf der Schnittstelle von Verwaltungs-, Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht. Es kombiniert nach wie vor Bauplanungs- und Bauordnungsrecht, ist aber zugleich mit dem Privat-, Finanz-, Kommunal-, Kreislaufwirtschafts-, Strukturförderungs-, Umwelt-, Verkehrs- und Wirtschaftsrecht vernetzt. Es setzt auf der Ebene der Instrumente nicht mehr nur auf Plan und Verwaltungsakt, sondern auch auf Subvention, Vertrag und Governance. Deshalb kommt dem Baurecht in der Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungsrechtspraxis zentrale Bedeutung zu.
Die Verfassung öffentlicher Güter, Baden-Baden: Nomos 2023.
In öffentlichen Gütern begegnet sich unsere Gesellschaft selbst. Die Bürgerinnen und Bürger sind auf öffentliche Güter angewiesen, um sich frei und gleich zu entfalten und den sozialen Zusammenhalt demokratisch zu gestalten. Der demografische, neoliberale und digitale Strukturwandel und die sozialen und pandemischen, ökonomischen und ökologischen, energiepolitischen und militärischen Krisen fordern öffentliche Güter heraus. Deshalb muss der liberale Verfassungsstaat öffentliche Güter gewährleisten, das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf öffentliche Güter garantieren, die zivilgesellschaftliche Produktion öffentlicher Güter regulieren, neue digitale und ökologische öffentliche Güter anerkennen und vor allem die Zukunft öffentlicher Güter sichern.
Jens Jens Kersten, Das ökologische Grundgesetz, München: C. H. Beck 2022.
Wir leben über unsere ökologischen Verhältnisse. Das Artensterben, die Klimakatastrophe und die globale Vermüllung sind die Folge. Deshalb ist eine ökologische Transformation unserer Gesellschaftsordnung notwendig. Diese wird nur gelingen, wenn wir auch unsere Verfassungsordnung grundlegend ökologisch umgestalten, indem wir das ökologische Verantwortungsprinzip in die Präambel des Grundgesetzes aufnehmen, neue ökologische Grundrechte verankern, ökologische Freiheitsschranken akzeptieren, die Rechte der Natur anerkennen, das ökologische Staatsprinzip einführen, die Umweltgerechtigkeit als Staatsziel fassen und allen Staatsorganen ökologische Aufgaben und Funktionen zuweisen.
Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei. Nach wie vor bedroht sie die Gesundheit und das Leben von Menschen; und nach wie vor ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystem gefährdet. Zugleich wird immer deutlicher, wie sehr die Pandemie die liberale, demokratische und föderale Verfassungsordnung des Grundgesetzes verändert hat. Was haben wir also aus der Corona-Krise gelernt, wenn es um Gesundheit und Infrastrukturen, Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Kultur, Wissenschaft und Recht sowie Gesetzgebung, Regierung und Gerichtsbarkeit geht? Wie debattieren wir über das Impfen und die Triage? Wie gehen wir mit politischer Radikalisierung um, die in der Pandemie immer weiter zugenommen hat? Vor allem gilt es aber auch, eine zentrale Folgerung aus unserem Umgang mit der Pandemie für andere exponentielle Krisenentwicklungen wie das Artensterben und die Klimakatastrophe zu ziehen: Wir sind eine vulnerable, aber noch keine resiliente Gesellschaft.
Wir erleben einen komplexen Strukturwandel von Beteiligung, Partizipation und Öffentlichkeit. Vor allem „Stuttgart 21“ hat zu einer umfassenden Ausweitung der demokratischen Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern geführt. Gesetzgeber, Verwaltungen und Gerichte entfalten neue Beteiligungsformen, Partizipationstypen und Öffentlichkeitskonzepte, die miteinander verknüpft sind. Dabei muss es in erster Linie auf die Qualität und nicht auf die Quantität demokratischer Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger ankommen – und dies bedeutet: Es gilt, partizipatives Window Dressing zu vermeiden. Weniger kann mehr sein!
Gesellschaftliche Ungleichheiten wachsen, räumliche Unterschiede vertiefen sich. Neue Bruchlinien treten hervor, und alte Klassenspaltungen kommen wieder ans Licht. Das Soziale-Orte-Konzept reagiert auf die räumliche Dimension dieser gesellschaftlichen Ungleichheit: Das individuelle und gesellschaftliche Leben verliert seine sozialen Orte, öffentliche Güter werden nicht mehr angeboten, Infrastrukturen brechen weg. Dies verschärft sich in der Corona-Krise, in der sich die bestehenden Ungleichheiten noch weiter zuspitzen und darüber hinaus Einsamkeit in mitten unserer Gesellschaft herrscht. Das Soziale-Orte-Konzept eröffnet interdisziplinäre Perspektiven auf die soziale und räumliche Vulnerabilität unserer Gesellschaft, um politische und rechtliche Handlungsoptionen für die Gestaltung des sozialen Zusammenhalts zu beschreiben und zu diskutieren. Die Wahrnehmung, Produktion und Wirklichkeit des gesellschaftlichen Zusammenhalts vor Ort werden soziologisch analysiert und anhand von Fallbeispielen verdeutlicht. Auf dieser Grundlage erschließt die rechtswissenschaftliche Perspektive die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Gestaltung des sozialen Zusammenhalts, in deren Rahmen das Soziale-Orte-Konzept entfaltet wird. Praktische Akteurskonstellationen werden vorgestellt und rechtspolitische Vorschläge für die gesetzliche Verankerung des Soziale-Orte-Konzepts unterbreitet. Dabei folgt die Gestaltung des sozialen Zusammenhalts vor Ort einem einfachen Grundsatz: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“ (Erich Kästner).
Jens Kersten, Konzeption und Methoden der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“, in: Wolfgang Kahl/Markus Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Heidelberg 2021, § 25.
Die Neue Verwaltungswissenschaft hat in den letzten dreißig Jahren einen Paradigmenwechsel von der anwendungsbezogenen Interpretations- zur rechtsetzungsorientierten Handlungs- und Entscheidungswissenschaft vollzogen. Dieser programmatische Paradigmenwechsel hat zu einem sehr produktiven Methodenstreit im Öffentlichen Recht geführt. Heute prägt die Neue Verwaltungsrechtswissenschaft den etablierten State of the Art: Sie betont die entwicklungsoffene Eigenständigkeit der Verwaltung, die auf der Grundlage ihrer demokratischen Legitimation die rechtsstaatlich strukturierten Verwaltungsaufgaben im europäischen Verfassungs- und Verwaltungsverbund hoheitlich und kooperativ, informell und kommunikativ, regulierend und wettbewerblich erfüllt, um das Gemeinwohl zu gewährleisten. So können neuen soziale, ökonomische, ökologische und mediale Herausforderungen in der gesetzgeberischen Gestaltung, administrativen Anwendung und gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungsrechts innovativ angenommen werden. Dies eröffnet zugleich neue verwaltungsrechtswissenschaftliche Perspektiven mit Blick auf Theorie und Praxis, Systematik und Dogmatik, Recht und Reform. Die Neue Verwaltungsrechtswissenschaft begleitet diesen innovativen Lernprozess von Gesellschaft und Verwaltung
Das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik erlebt gegenwärtig einen grundlegenden Wandel politischer Repräsentation. Die Fragmentierung und Polarisierung des Parteiensystems fordert einen flexibleren Regierungsstil, der die politische Stabilität der Bonner Republik längst hinter sich gelassen hat. In dieser Situation helfen auch die „Lehren aus Weimar“ nur sehr bedingt weiter. Verfassungsrechtlich zeigt sich dies im historischen Funktionswandel des „konstruktiven“ Misstrauensvotums und der „unechten“ Vertrauensfrage. Verfassungspraktisch wird in einem fragmentierten und polarisierten Bundestag die parlamentarische Regierungsbildung zu einem ernsten Problem: Ist die Minderheitsregierung (k)eine Alternative? Verfassungspolitich verstärken sich die Tendenzen zu einer präsidialen Kanzler/innen/demokratie. Zugleich sieht sich die Praxis des parlamentarischen Regierungssystems durch die mediale Entwicklung herausgefordert: Fake News, Hate Speech, Verschwörungstheorien, Social Bots, Microtargeting, Political Astroturfing und Deep Fakes sind die Stichworte für eine Entwicklung, die den demokratischen Wahlkampf, die politische Authentizität von Politikerinnen und Politikern sowie die Funktion von Bundestag und Bundesregierung gefährden. Linke Identitätspolitiken sehen im Wahlrecht kein Recht ohne Eigenschaften mehr und plädieren für einen quotierten Bundestag. In der Tat sollten aber die Verankerung des verfassungsrechtlichen Diversitätsgrundsatz im Parteienrecht und die Weiterentwicklung des Bundesrats von einer parteienbundesstaatlichen Institution zu einer föderalen Repräsentation vielfältiger Diversität auf der Reformagenda stehen. Demgegenüber setzen rechte Identitätspolitiken auf einen homogenen Populismus, der jede Form des pluralistischen Parlamentarismus bekämpft. Doch dem liberalen Verfassungsstaat ist mit den hohen verfassungsrechtlichen Hürden, die das Bundesverfassungsgericht für ein Parteienverbotsverfahren errichtet hat, eines der zentralen Instrumente für die Verteidigung der liberalen Demokratie verloren gegangen, um die wichtigste „Lehre aus Weimar“ umzusetzen: Wehret den Anfängen!
Jens Kersten, Zu Ferdinand von Schirachs „Jeder Mensch“,
Der Hörverlag, München 2021.
Ferdinand von Schirach ruft in seinem Buch „Jeder Mensch“ zur europäischen Verfassungsgebung auf: Wir, die Bürgerinnen und Bürger Europas geben uns sechs neue Menschenrechte, die auf die sechs großen Herausforderungen antworten, vor denen wir heute stehen: die Bewahrung unserer Umwelt, die Behauptung unserer digitalen Selbstbestimmung, unser Leben mit intelligenten Maschinen, die Wahrheit und nicht die Lüge als Voraussetzung unserer Demokratie und vor allem auch das Ende der Ausbeutung in einer globalen Welt. Wir müssen diese neuen Menschenrechte in der europäischen Öffentlichkeit diskutieren, um unsere Grundrechtsordnung weiterzuentwickeln.
Jens Kersten/Stephan Rixen/Berthold Vogel (Hrsg.), Ambivalenzen der Gleichheit. Zwischen Diversität, sozialer Ungleichheit und Repräsentation, Bielefeld: Transcript 2021.
Unsere Gesellschaft entwickelt gegenwärtig ein neues Verständnis von Gleichheit. Gesellschaft und Politik müssen auf soziale Ungleichheit reagieren, Diskriminierung verhindern und mit Identitätspolitiken umgehen. Doch was verbindet und was unterscheidet diese Dimensionen der Gleichheit bzw. Ungleichheit? Die Autorinnen und Autoren, die zu diesem Band beigetragen haben, plädieren dafür, dass soziale Ungleichheit, Antidiskriminierung und Identitätspolitiken nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Vielmehr gilt es, auf der Grundlage sozialer Anerkennung ein mehrdimensionales Verständnis von Gleichheit zu entwickeln, das Hierarchien von Ungleichheit und vor allem auch Kompensationsspiralen vermeidet.
Carina Dorneck/Ulrich M. Gassner/Jens Kersten/Josef Franz Lindner/Kim Philip Linoh/Henning Lorenz/Henning Rosenau/Birgit Schmidt am Busch, Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention. Augsburg-Münchner-Hallescher-Entwurf (AMHE-SterbehilfeG), Tübingen: Mohr Siebeck, 2021.
Der AMHE-Sterbehilfegesetz unterbreitet einen Vorschlag für ein modernes Sterbehilferecht, das einer pluralen Gesellschaft gerecht wird. Der Gesetzentwurf verfolgt einen integrativen Ansatz, der das vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 26.2.2020 anerkannte Recht auf selbstbestimmtes Sterben mit dem Postulat effektiver Suizidprävention verbindet. Der Regelungsvorschlag beschränkt sich nicht auf die geschäftsmäßige Suizidförderung, versteht sich also nicht als ein schlichtes „Reparaturgesetz“ für den für nichtig erklärten § 217 StGB. Er zielt vielmehr auf eine umfassende und zugleich kohärente Regelung der Selbstbestimmung am Lebensende. Ausgehend von der Freiverantwortlichkeit der individuellen Entscheidung werden Regelungen zum Behandlungsverzicht und zur Behandlungsbegrenzung, zum Suizid sowie zur aktiven und indirekten Sterbehilfe vorgestellt.Gleichzeitig ist der Gesetzentwurf auf eine Stärkung der Suizidprävention ausgerichtet.
Jens Kersten, Die Notwendigkeit der Zuspitzung. Anmerkungen zur Verfassungstheorie, Verfassungstheoretische Gespräche, Band 1, Berlin: Duncker & Humblot, 2020.
Es ist Aufgabe der Verfassungstheorie, das Grundgesetz immer wieder neu und anders zu lesen. Gerade in Zeiten vermeintlicher Alternativlosigkeit ist es wichtig, verfassungsrechtlich zugespitzt zu argumentieren. Andernfalls werden wir nicht in der Lage sein, die sozialen und politischen, ökologischen und ökonomischen, technischen und kommunikativen Herausforderungen anzunehmen, vor denen wir heute stehen. Eine undogmatische und interdisziplinäre Verfassungstheorie versteht das Grundgesetz als eine Assemblage aus heterogenen Regelungen und diversen Regelungskomplexen, die zugespitzte Interpretationen und Erklärungen herausfordern. Es gibt daher keine Verfassungstheorie ohne Eigenschaften! Dies zeigen die verfassungstheoretischen Diskussionen über die Verfassung der Natur, die Ästhetik der Verfassung, die Verteidigung unserer liberalen Verfassungsordnung gegen autoritäre Theorien und Politik sowie das Plädoyer für eine pluralistische Gesellschaft der Repräsentationen.
Inka Mülder-Bach, Jens Kersten und Martin Zimmermann (Hrsg.), Prosa schreiben. Literatur Geschichte Recht, Padernborn: Wilhelm Fink, 2019.
Prosa ist zu einer Leitmetapher der Moderne avanciert. Seit dem 18. Jahrhundert entfaltet dieser Begriff seinen Doppelsinn: Einerseits bezeichnet er eine (schrift-)sprachliche Ausdrucksweise, die im Unterschied zum Vers metrisch nicht gebunden ist. Andererseits bringt er die Denkweise und die Verfassung der modernen Welt zum Ausdruck. Die Beiträge des vorliegenden Bandes erkunden diesen Zusammenhang aus einer interdisziplinären Perspektive unter Bezug auf literarische und historiographische Prosa sowie die Prosa des Rechts.
Jens Kersten, Claudia Neu, Berthold Vogel: Politik des Zusammenhalts. Über Demokratie und Bürokratie, Hamburger Edition, 2019.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt bildet die Grundlage der Demokratie. Er entfaltet sich in den Leistungen der Daseinsvorsorge, den technischen Infrastrukturen und in öffentlichen Gütern, die professionell und demokratisch gestaltet werden müssen. Dafür ist die Demokratie auf eine funktionierende Verwaltung angewiesen. Die Bürokratie begleitet den Wandel unserer Gesellschaft, indem sie auf rechtsstaatlicher Freiheit, sozialer Gleichheit und gesellschaftlicher Integration besteht: Bürokratie ist selbst eine demokratische Infrastruktur, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Die Demokratie muss deshalb bei ihren Bürgerinnen und Bürgern für ein kritisches Verständnis von Bürokratie werben. Nur dann wissen die Bürgerinnen und Bürger, warum es demokratisch und sozial ist, sich an der Verwaltung ihres Gemeinwesens aktiv zu beteiligen. Wenn die Demokratie einseitig auf Markt, Wettbewerb und Bürokratieabbau setzt, gefährdet sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Öffentliche Güter, Daseinsvorsorge und Infrastrukturen benötigen eine gute Verwaltung, die von qualifiziertem Personal getragen wird und vor allem auch junge Menschen für den öffentlichen Dienst am Allgemeinwohl gewinnt. Vor allem aber ist die demokratische und soziale Verwaltung des Gemeinwesens die politische Antwort auf die populistische Spaltung unserer Gesellschaft.
Richard Giesen/Jens Kersten, Arbeit 4.0. Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht in der digitalen Welt, München: C. H. Beck, 2017.
Arbeit 4.0 bricht mit vielen arbeitsrechtlichen Grundannahmen und Praxen der industriellen Gesellschaft. Deshalb müssen wir neue Konzepte für die digitalisierte Arbeitswelt entwickeln: Wenn Menschen und Maschinen symbiotisch zusammenarbeiten, gewinnen Autonomie und Selbstbestimmung im Arbeitsverhältnis neue Konturen. Wer arbeitet hier autonom? Instrumentalisieren Maschinen nicht die Menschen? Die digitale Neuformatierung der Arbeit schlägt sich in Burnout nieder, das sich bereits zu einer neuen Form der Entfremdung stilisiert sieht. Doch anstatt vorschnell in den neuen Chor der digitaler Technik- und Kulturkritik einzustimmen, gilt es ganz praktische Fragen zu beantworten: Welche flexible Neujustierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, von arbeitnehmerischer Eigenverantwortung und arbeitgeberischen Schutzpflichten sind notwendig, ohne in die verordnete Gemütlichkeit übergriffiger Work-Life-Balance abzugleiten? Die Notwendigkeit, unsere digitalisierte Arbeitswelt sozial, ökonomisch und rechtlich neu zu gestalten, zeigt sich aber auch am Beispiel Crowdwork, die sich im Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal globaler Arbeitsteilung und drohender grenzüberschreitender Ausbeutung entfaltet. Darüber hinaus gestaltet sich die Konsistenz mancher Betriebe zwischen realem und virtuellem Raum neu: Das überkommene System der analogen Betriebsverfassung ist nicht in der Lage, beschleunigte Änderungen der Arbeitsorganisation zu bewältigen. Aus diesem Grund müssen wir neue Konzepte im Betriebsverfassungsrecht entwickeln, um effektive Mitbestimmung auch in der digitalisierten Arbeitswelt zu gewährleisten. Die Gewerkschaften stehen vor der Frage, wie sie Gewerkschaftsmitgliedschaft als ein zunehmend knappes Gut institutionell profilieren und sich zugleich zunehmend liquide und flüchtige Solidarität digital organisieren lässt. Auch die kollektiven Konflikte entwickeln längst eine digitale Dimension: Wie sieht der Arbeitskampf in der digitalisierten Arbeitswelt aus? Die Entscheidungen des Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgerichts zur Legalisierung des Flashmobs als Arbeitskampfmittel sind hier nur erste Schritte für die Profilierung schwarmförmiger Tarifauseinandersetzungen, bei denen sich vor allem auch die Frage nach klaren Grenzen viraler Schädigungsmöglichkeiten stellt. In unserer liberalen und zugleich sozialen Gesellschaft verlangt der digitale Wandel unserer Arbeitswelt differenzierte Antworten. Einfache Lösungen wie das bedingungslose Grundeinkommen greifen schon deshalb viel zu kurz, weil sie weder Freiheit noch Solidarität gewährleisten.
Jens Kersten, Schwarmdemokratie. Der digitale Wandel des liberalen Verfassungsstaats, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017.
Wer es vor ein paar Jahren auch nur gewagt hätte, die demokratische Legitimation des Internets in Frage zu stellen, wäre bestenfalls ignoriert worden. Wer heute das Internet als ein demokratisches Medium versteht, erntet bestenfalls ein irritiertes Kopfschütteln. Das Internet scheint extreme Antworten herauszufordern: entweder Netzdemokratie oder digitale Diktatur. Doch man sollte sich von der allgegenwärtigen Hysterie nicht anstecken lassen. Das Verhältnis von Demokratie und Internet ist schlicht ambivalent. Aus diesem Grund hat sich der „Schwarm“ zu einer der machtvollsten und zugleich umstrittensten politischen Symbole unserer vernetzten Gesellschaft entwickelt. Auf der Grundlage des Web 2.0 und der sozialen Medien finden sich Bürger zusammen, um emergente Kollektivität in Form menschlicher Schwarmbildung zu entfalten. Der liberale Verfassungsstaat muss einerseits die neuen demokratischen Legitimationspotenziale dieser menschlichen Schwärme fördern und aufgreifen, um nicht den Anschluss an die digitalen Formen gesellschaftlicher Kommunikation zu verlieren. Andererseits ist er aber auch verpflichtet, demokratische Institutionen wie beispielsweise das Parlament und das freie Mandat gegen Schwarmangriffe zu schützen. Indem der liberale Verfassungsstaat in seinen repräsentativen, plebiszitären, partizipativen und assoziativen Legitimationssträngen Schwarmkontakte akzeptiert und herstellt, wandelt er sich – jedenfalls ein Stück weit – zu einer Schwarmdemokratie.
John M.Meyer/Jens M. Kersten (Hrsg.), The Greening of Everyday Life. Challenging Practices, Imagining Possibilities, Oxford: Oxford University Press, 2016.
The Greening of Everyday Life develops a distinctive new way of talking about environmental concerns in post-industrial society. It brings together several conceptual frameworks with a diversity of case studies and practical examples of efforts to orient everyday material practices toward greater sustainability. The volume builds upon internal criticisms of dominant strands of contemporary environmentalism in post-industrial societies, and develops a new approach which emerges from a number of disciplines, but is unified by a normative concern for the material objects and practices familiar to members of societies in their everyday lives. In exploring alternatives, the chapter authors utilize conceptual frameworks rooted in environmental justice, new materialism, and social practice theory and apply it to the everyday; attention to urban biodiversity, infrastructure for storm water run-off, green home remodelling, household toxicity, community gardens and farmers markets, bicycling and automobility, alternative technologies, and more. With contributions from leading international and emerging scholars, this volume critically explores specific strategies and actions taken to generate homes, communities, and livelihoods that might be scaled-up to promote more sustainable societies.
Jens Kersten (Hrsg.), Inwastement. Abfall in Umwelt und Gesellschaft, Bielefeld: transkript, 2016.
Abfälle entwickeln eine vollkommen eigenständige soziale, ökonomische und ökologische Handlungsmacht. Sie bilden das Inwastement einer Gesellschaft, das durch soziale Praxen, rechtliche Normen und kulturelle Kontexte konstituiert wird. In einem kompositionistischen Verständnis, welches die materielle Gegenständlichkeit von Abfall mit dessen kultureller Perzeption verbindet, konzipieren die Beiträge des Bandes Abfall als Kulturtechnik. Diese interdisziplinäre Perspektive, die auf eine Ergänzung der Technikwissenschaften durch die Kulturwissenschaften Wert legt, weist auf das problematische Verhältnis von individueller und kollektiver Abfallverantwortung hin und schließt damit unmittelbar an Fragen nach globaler „Waste Justice“ und einer Zukunft ohne Müll („Zero Waste“) an.
Jens Kersten, Das Anthropozän-Konzept, Kontrakt - Komposition - Konflikt, Baden-Baden: Nomos, 2014.
Die Erde ist in ein neues Zeitalter eingetreten: Auf das Holozän folgt nun das „Anthropozän“, in dem sich der Mensch zu einer geologischen Kraft entwickelt hat. Doch was bedeutet die Ausrufung dieser neuen Erdepoche für die politische und rechtliche Governance unseres Planeten? Das Anthropozän-Konzept veranschaulicht den Wandel des globalen Zeit- und Raumverständnisses. Es reflektiert ein neues Verhältnis von Natur und Kultur. Es verabschiedet die Leitideen der „Risikogesellschaft“ und der „Nachhaltigkeit“. Es fragt nach der normativen Steuerungskraft der Resistenz, Resilienz und Persistenz ökologischer und kultureller Systeme. Es rechnet mit Tieren, Pflanzen und Landschaften als neuen Akteuren im Rechtssystem. Die environmental humanities rekonstruieren die anthropozäne Herausforderung als Kontrakt, Komposition oder Konflikt: Doch welchem dieser drei Anthropozän-Konzepte sollten wir folgen?
Jens Kersten, Neues Arbeitskampfrecht. Über den Verlust institutionellen Verfassungsdenkens, Tübingen: Mohr Siebeck, 2012.
Das „Neue Arbeitskampfrecht“ versteht die Koalitionsfreiheit in erster Linie als individuelle und kollektive Freiheitsgewährleistung. Es vernachlässigt die institutionellen Dimensionen, in die das Arbeitskampfrecht verfassungsrechtlich eingebettet ist. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hält den Beamtenstreik für europarechtlich geboten und überspielt damit die institutionelle Gewährleistung des Berufsbeamtentums. Die Arbeitsgerichte ignorieren in ihrer Rechtsprechung zu Tarifpluralität und Flash-Mobs die Folgen für die Institute der Tarifautonomie und der Sozialpartnerschaft. Dieser Verlust institutionellen Verfassungsdenkens gefährdet die effektive Verwaltung des demokratischen Verfassungsstaats und den sozialen Zusammenhalt in der Bundesrepublik. Nur wenn Dienst- und Arbeitsrecht ihren institutionellen Verfassungsbezügen Rechnung tragen, werden sie die Herausforderungen der Europäisierung, Entsolidarisierung und Informationalisierung der Arbeitswelt bestehen.
Jens Kersten/ Claudia Neu/Bertold Vogel, Demografie und Demokratie. Zur Politisierung des Wohlfahrtsstaates, Hamburg: Hamburger Edition, 2012.
Generationengerechtigkeit, Altersdiskriminierung und soziale Sicherheit sind Schlagworte einer demografischen Debatte, die nicht nur die Politik und Wissenschaft herausfordert, sondern auch in der Bevölkerung Sorgen und Ängste hervorruft. Der demografische Wandel setzt die demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft unter Druck. Eine schrumpfende Bevölkerung, eine alternde Gesellschaft und neue regionale Ungleichgewichte zwischen verlassenen Orten und wachsenden Städten provozieren Verteilungsfragen und polarisieren die Sozialordnung des Wohlfahrtsstaates. Wie wird mit immer markanter formulierten Partikularinteressen unterschiedlicher Bevölkerungs- und Altersgruppen umgegangen? Und in welchen Lebensbereichen stellen die demografischen Veränderungen die normativen Orientierungen und strukturellen Grundlagen des Gemeinwesens in Frage? Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf Wohlstandskonflikte und Verteilungsfragen lenken, allesamt Entwicklungen, die Gestalt, Form und Mentalität des Sozialen prägen. Erweist sich der demokratische Wohlfahrtsstaat als flexibel genug, die demografische Herausforderung anzunehmen? Jenseits von Niedergangsszenarien und Heilsversprechen à la „Weniger sind mehr“ wird auf verfassungs-, infra- und wohlfahrtsstruktureller Ebene nicht nur eine differenzierte Analyse des konfliktreichen Spannungsverhältnisses zwischen Demografie und Demokratie vorgestellt, sondern auch eine Perspektive entwickelt, wie die gefährdeten demokratischen und sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft bewahrt werden könnten.
Jens Kersten/Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Politikwechsel als Governanceproblem, Baden-Baden: Nomos, 2012.
Politikwechsel sind schnelle und radikale Wechsel einer Policy, die zugleich soziale, wirtschaftliche oder ökologische Grundentscheidungen und Grundstrukturen einer Gesellschaft verändern. Hartz-IV, Stuttgart 21 und die Energiewende sind Ausdruck eines neuen Politikstils, dessen Konzept als Politikwechsel zwischen Theorie und Praxis von Politik, Kommunikation und Recht entfaltet wird.
Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. durchgesehene und vermehrte Auflage von 1905, hrsg. v. Jens Kersten, Tübingen: Mohr Siebeck, 2011.
Georg Jellineks „System der subjektiven öffentlichen Rechte“ (1892/1905) ist ein Klassiker der Staatsrechtslehre, der die historische Entwicklung, die dogmatische Kontur und die politischen Fragen unseres Verwaltungs- und Verfassungsverständnisses bis heute prägt. Jellinek entfaltet seine Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts aus dem Grundverhältnis zwischen Bürgern und Staat. Dieses staatsbürgerliche Rechtsverhältnis bildet Jellinek in vier Typen subjektiv-öffentlicher Rechte ab: dem status passivus als den Pflichten, dem status negativus als der Freiheit, dem status positivus als den Leistungsansprüchen und dem status activus als den Partizipationsrechten der Bürger. Mit diesen vier Kategorien von subjektiven öffentlichen Rechten polarisiert Jellinek das gesamte Verwaltungs-, Verfassungs- und Völkerrecht und legt damit zugleich das Fundament, das auch die aktuelle Grundrechtstheorie noch trägt.